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  (Neun Jahre später.)
   
  Zwischen meinem ersten und meinem zweiten Begegniß mit Lud-
  wig Börne liegt jene Juliusrevoluzion, welche unsere Zeit gleichsam
5 in zwey Hälften auseinander sprengte. Die vorstehenden Briefe mögen
  Kunde geben von der Stimmung, in welcher mich die große Begeben-
  heit antraf, und in gegenwärtiger Denkschrift sollen sie als vermit-
  telnde Brücke dienen zwischen dem ersten und dem dritten Buche.
  Der Uebergang wäre sonst zu schroff. Ich trug Bedenken eine grö-
10 ßere Anzahl dieser Briefe mitzutheilen, da in den nächstfolgenden
  der zeitliche Freyheitsrausch allzu ungestüm über alle Polizeyverord-
  nungen hinaustaumelte, während späterhin allzuernüchterte Betrach-
  tungen eintreten und das enttäuschte Herz in muthlose, verzagende
  und verzweifelnde Gedanken sich verliert! Schon die ersten Tage
15 meiner Ankunft in der Hauptstadt der Revoluzion merkte ich, daß
  die Dinge in der Wirklichkeit ganz andre Farben trugen, als ihnen
  die Lichteffekte meiner Begeisterung in der Ferne geliehen hatten.
  Das Silberhaar, das ich um die Schulter Lafayettes, des Helden beider
  Welten, so majestätisch flattern sah, verwandelte sich bey näherer
20 Betrachtung in eine braune Perücke, die einen engen Schädel kläg-
  lich bedeckte. Und gar der Hund Medor, den ich auf dem Hofe des
  Louvre besuchte, und der, gelagert unter dreyfarbigen Fahnen und
  Trophäen, sich ruhig füttern ließ: er war gar nicht der rechte Hund,
  sondern eine ganz gewöhnliche Bestie, die sich fremde Verdienste an-
25 maßte, wie bey den Franzosen oft geschieht, und eben so wie viele
  Andre exploitirte er den Ruhm der Juliusrevoluzion ... Er ward ge-
  hätschelt, gefördert, vielleicht zu den höchsten Ehrenstellen erhoben,
  während der wahre Medor, einige Tage nach dem Siege, bescheiden
  davon geschlichen war, wie das wahre Volk, das die Revoluzion
30 gemacht ...
  Armes Volk! Armer Hund! sic vos non vobis.
  Es ist eine schon ältliche Geschichte. Nicht für sich, seit undenk-
  licher Zeit, nicht für sich hat das Volk geblutet und gelitten, sondern
  für andre. Im Juli 1830 erfocht es den Sieg für jene Bourgeoisie, die
35 eben so wenig taugt wie jene Noblesse, an deren Stelle sie trat, mit
  demselben Egoismus ... Das Volk hat nichts gewonnen durch seinen
  Sieg als Reue und größere Noth. Aber seyd überzeugt, wenn wieder
  die Sturmglocke geläutet wird und das Volk zur Flinte greift, dies-
  mal kämpft es für sich selber und verlangt den wohlverdienten Lohn.
40 Diesmal wird der wahre, ächte Medor geehrt und gefüttert wer-
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