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  dacht ich an Kleomenes, König von Sparta, Dund seine zwölf Gefährten,
  die durch die Straßen von Alexandrien rannten, und das Volk zur
  Erkämpfung der Freyheit aufriefen, und keine gleichgesinnten Herzen
  fanden, und um den Tyrannenknechten zu entgehen, sich selber tödteten;
5 der schöne Anteos war der letzte, noch einmal beugte er sich über den
  todten Kleomenes, den geliebten Freund, und küßte die geliebten Lippen,
  und stürzte sich dann in sein Schwert.
  Ueber die Zahl derer, die auf der Rüe Saint-Martin gefochten, ist noch
  nichts bestimmtes ermittelt. Ich glaube, daß anfangs gegen zweyhundert
10 Republikaner dort versammelt gewesen, die aber endlich, wie oben
  angedeutet, während des Tages vom 6. Juni auf sechzig zusammenge-
  schmolzen waren. Kein einziger war dabey, der einen bekannten Namen
  trug, oder den man früher als einen ausgezeichneten Kämpen des
  Republikanismus gekannt hätte. Es ist das wieder ein Zeichen, daß, wenn
15 jetzt nicht viele Heldennamen in Frankreich Dbesonders laut erklingen,
  keineswegs der Mangel an Helden daran Schuld ist. Ueberhaupt scheint
  die Weltperiode vorbey zu seyn, wo die Thaten der Einzelnen
  hervorragen; die Völker, die Partheyen, die Massen selber sind die
  Helden der neuern Zeit; die moderne Tragödie unterscheidet sich von der
20 antiquen dadurch, daß jetzt die Chöre agiren und die eigentlichen
  Hauptrollen spielen, während die Götter, Heroen, und Tyrannen, die
  früherhin die handelnden Personen waren, jetzt zu mäßigen Repräsentan-
  ten des Partheywillens und der Volksthat herabsinken, und zur
  schwatzenden Betrachtung hingestellt sind, als Thronredner, als Gast-
25 mahlpräsidenten, Landtagsabgeordnete, Minister, Tribune u. s. w. Die
  Tafelrunde des großen Ludwig Philipp, die ganze Opposizion mit ihren
  comptes-rendus, mit ihren Deputazionen, die Herren Odilon-Barrot,
  Laffitte und Arago, wie passiv und geringselig erscheinen diese
  abgedroschenen renommirten Leute, diese scheinbaren Notabilitäten,
30 wenn man sie mit den DHelden der Rüe Saint-Martin vergleicht, deren
  Namen niemand kennt, die gleichsam anonym gestorben sind.Verweis in den Anhang: Bruchstück 
  Der bescheidene Tod dieser großen Unbekannten vermag nicht bloß
  uns eine wehmüthige Rührung einzuflößen, sondern er ermuthigt auch
  unsere Seele, als Zeugniß, daß viele tausend Menschen, die wir gar nicht
35 kennen, bereit stehen für die heilige Sache der Menschheit ihr Leben zu
  opfern. Die Despoten aber müssen von heimlichem Grauen erfaßt
  werden, bey dem Gedanken, daß eine solche, unbekannte Schaar von
  Todessüchtigen sie immer umringt gleich den vermummten Dienern einer
  heiligen Vehme. Mit Recht fürchten sie Frankreich, die rothe Erde der
40 Freyheit!
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