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| | Erläuterungen |
| | Die von der Tradition übernommene Volksballadenform deckt hier Gestal- |
| | ten und Situationen, die nicht derselben Welt angehören. Die Beschreibung |
5 | | der Geliebten in den Strophen 4–7 ist ein Stück petrarkistischer Liebeslyrik |
| | mitten in der düsteren Umrahmung einer altdeutschen Ballade. Heine be- |
| | wegte sich mit virtuoser Sicherheit in verschiedenen Formtraditionen, die er |
| | in der Jugendlyrik in die Metren und Rhythmen einer modernisierten Volks- |
| | liedstrophe zu integrieren wußte. Die Gedichte, die auf solchem Wege zu- |
10 | | stande kamen, verbinden transparente Semantik und einfache Tanz- bzw. |
| | Singreime, Legierungen, welche eine leichte, nicht gezielt wirkende Parodie |
| | durchaus nicht ausschließen. |
| | 101,1 Herr Ulrich reitet im grünen Wald,] vgl. Volkslied Ulrich und Aenn- |
| | chen: Es ritt einst Ulrich spazieren aus. Ritter Ulrich des Volkslieds ist |
15 | | der grimmige Blaubart, mit welchem der Ulrich vom Liedchen von der Reue |
| | keine Ähnlichkeit hat. Lediglich die Motive der ersten Strophe (Ritter, Mäd- |
| | chen im Wald) hat H. vom Volkslied übernommen. |
| | 103,9 Zwei Röslein sind die Lippen dort,] Preislied auf das Gesicht der Ge- |
| | liebten (Lippen, Grübchen, Lockenhaar, Augen) im Sinne der preziösen |
20 | | Dichtung seit Petrarca in der europäischen Literatur verbreitet. Die Attribute |
| | erscheinen hier zuerst als berückende Schönheit und dann als tödliche Ver- |
| | lockung: das Doppelgesicht der Geliebten, zugleich Madonna und Schlange. |
| | In den Liedern und Romanzen besonders ausgearbeitet, dann in Intermezzo |
| | und Heimkehr mehr andeutungsweise. |
25 | | 103,25 Und jenes blaue Auge dort,] als letztes kommt das Auge, denn der |
| | Blick ist die Sprache der Liebe, deren Doppelgründigkeit auf Heine ver- |
| | lockend wirkte. Dem Freund Sethe schrieb er im Oktober 1816 im Ver- |
| | trauenston: wie ich oft in Deinen Gesichtszügen und vorzüglich in Deinen |
| | Augen E t w a s bemerkte was mich auf einer unbegreifliche Art zugleich |
30 | | von Dir abstieß und zugleich wieder gewaltsam zu Dir hinzog, so daß ich |
| | meinte im selben Augenblick liebendes Wohlwollen und auch wieder den |
| | bittersten, schnöden, eiskalten Hohn darin zu erkennen. Und siehe! dieses |
| | nemliche räthselhafte Etwas habe ich auch in Mollys Blicken gefunden. Und |
| | eben dieses ist es was mich auch so ganz confus macht (HSA XX, 19). Ge- |
35 | | nannt und gerühmt werden die Augen der Geliebten in über fünfzig Gedich- |
| | ten des Buchs der Lieder. |
| | 103,33 Der Junker spricht: O Mutter dort,] die Mutter als Retterin in der |
| | Not und letzter Trost sowohl traditionelles Motiv als auch spezifisch für |
| | Heines frühe Lyrik: |
40 | | Und immer irrte ich nach Liebe, immer |
| | Nach Liebe, doch die Liebe fand ich nimmer, |
| | Und kehrte um nach Hause, krank und trübe. |
| | (Son An meine Mutter II) |