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5 DIch kenne einen guten Hamburger Christen, der sich nie darüber
  zufrieden geben konnte, daß unser Herr und Heiland von Geburt ein
  Jude war. Ein tiefer Unmuth ergriff ihn jedesmal, wenn er sich einge-
  stehen mußte, daß der Mann, der, ein Muster der Vollkommenheit,
  die höchste Verehrung verdient, dennoch zur Sippschaft jener unge-
10 schnäutzten Langnasen gehörte, die er auf der Straße als Trödler her-
  umhausiren sieht, die er so gründlich verachtet, und die ihm noch
  fataler sind, wenn sie gar, wie er selber, sich dem Großhandel mit
  Gewürzen und Farbestoffen zuwenden, und seine eigenen Interessen
  beeinträchtigen.
15 Wie es diesem vortrefflichen Sohne Hammonias mit Jesus Chri-
  stus geht, so geht es mir mit William Shakspear. Es wird mir flau zu
  Muthe, wenn ich bedenke, Ddaß er am Ende doch ein Engländer ist,
  und dem widerwärtigsten Volke angehört, das Gott in seinem Zorne
  erschaffen hat.
20 Welch ein widerwärtiges Volk, welch ein unerquickliches Land!
  Wie steifleinen, wie hausbacken, wie selbstsüchtig, wie eng, wie eng-
  lisch! Ein Land, welches längst der Ocean verschluckt hätte, wenn er
  nicht befürchtete, daß es ihm Uebelkeiten im Magen verursachen
  möchte ... Ein Volk, ein graues, gähnendes Ungeheuer, dessen
25 Athem nichts als Stickluft und tödtliche Langeweile, und das sich
  gewiß mit einem kolossalen Schiffstau am Ende selbst aufhängt ...
  Und in einem solchen Lande, und unter einem solchen Volke, hat
  William Shakspear im April 1564 das Licht der Welt erblickt.
  Aber das England jener Tage, wo in dem nordischen Bethlehem,
30 welches Stratford upon Avon geheißen, der Mann geboren ward,
  dem wir das weltliche Evangelium, wie man die Shakspearschen Dra-
  men nennen möchte, verdanken, das England jener Tage war gewiß
  von dem heutigen sehr verschieden; auch nannte man es merry Eng-
  land, und es blühete in Farbenglanz, Maskenscherz, tiefsinniger
35 Narrethey, sprudlender Thatenlust, überschwenglicher Leiden-
  schaft ... Das Leben war dort noch ein buntes Turnier, wo freylich
  die edelbürtigen Ritter im Schimpf und Ernst die Hauptrolle spiel-
  ten, aber der helle Trompetenton auch die bürgerlichen Herzen
  erschütterte ... Und statt des dicken Biers trank man den leichtsin-
40 nigen Wein, das demokratische Getränk, welches im Rausche die
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