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| | | Leben und Thaten des scharfsinnigen Junkers Don Quixote von der |
| | | Mancha, beschrieben von Miguel Cervantes de Saavedra, war das |
| | | erste Buch, das ich gelesen habe, nachdem ich schon in ein verstän- |
| 10 | | diges Knabenalter getreten, und des Buchstabenwesens einigerma- |
| | | ßen kundig war. Ich erinnere mich noch ganz genau jener kleinen |
| | | Zeit, wo ich mich eines frühen Morgens von Hause wegstahl, und |
| | | nach dem Hofgarten eilte, um dort ungestört den Don Quixote zu |
| | | lesen. Es war ein schöner Maytag, lauschend im stillen Morgenlichte |
| 15 | | lag der blühende Frühling, und ließ sich loben von der Nachtigall, |
| | | seiner süßen Schmeichlerinn, und diese sang ihr Loblied so karessi- |
| | | rend weich, so schmelzend enthusiastisch, daß die verschämtesten |
| | | Knospen aufsprangen, und die lüsternen Gräser und die duftigen |
| | | Sonnenstralen sich hastiger küßten, und Bäume und Blumen schau- |
| 20 | | erten, vor eitelem Entzücken. Ich aber setzte mich auf eine alte |
| | | mosige Steinbank in der sogenannten Seufzerallee unfern des Was- |
| | | serfalls, und ergötzte mein kleines Herz an den großen Abentheuern |
| | | des kühnen Ritters. In meiner kindischen Ehrlichkeit nahm ich alles |
| | | für baaren Ernst; so lächerlich auch dem armen Helden von dem |
| 25 | | Geschicke mitgespielt wurde, so meinte ich doch, das müsse so seyn, |
| | | das gehöre nun Dmahl zum Heldenthum, das Ausgelachtwerden eben |
| | | so gut wie die Wunden des Leibes, und jenes verdroß mich eben so |
| | | sehr, wie ich diese in meiner Seele mitfühlte. Ich war ein Kind und |
| | | kannte nicht die Ironie, die Gott in die Welt heineingeschaffen, und |
| 30 | | die der große Dichter, in seiner gedruckten Kleinwelt nachgeahmt |
| | | hatte – und ich konnte die bittersten Thränen vergießen, wenn der |
| | | edle Ritter, für all seinen Edelmuth, nur Undank und Prügel genoß; |
| | | und da ich, noch ungeübt im Lesen, jedes Wort laut aussprach, so |
| | | konnten Vögel und Bäume, Bach und Blumen alles mit anhören, und |
| 35 | | da solche unschuldige Naturwesen, eben so wie die Kinder, von der |
| | | Weltironie nichts wissen, so hielten sie gleichfalls alles für baaren |
| | | Ernst, und weinten mit über die Leiden des armen Ritters, sogar eine |
| | | alte ausgediente Eiche schluchzte, und der Wasserfall schüttelte hef- |
| | | tiger seinen weißen Bart, und schien zu schelten auf die Schlechtig- |
| 40 | | keit der Welt. Wir fühlten, daß der Heldensinn des Ritters darum |