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  DEinleitung.
    
  <Zu Miguel Cervantes de Saavedra,
»Der sinnreiche Junker Don Quixote von La Mancha«, 1837>
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  Leben und Thaten des scharfsinnigen Junkers Don Quixote von der
  Mancha, beschrieben von Miguel Cervantes de Saavedra, war das
  erste Buch, das ich gelesen habe, nachdem ich schon in ein verstän-
10 diges Knabenalter getreten, und des Buchstabenwesens einigerma-
  ßen kundig war. Ich erinnere mich noch ganz genau jener kleinen
  Zeit, wo ich mich eines frühen Morgens von Hause wegstahl, und
  nach dem Hofgarten eilte, um dort ungestört den Don Quixote zu
  lesen. Es war ein schöner Maytag, lauschend im stillen Morgenlichte
15 lag der blühende Frühling, und ließ sich loben von der Nachtigall,
  seiner süßen Schmeichlerinn, und diese sang ihr Loblied so karessi-
  rend weich, so schmelzend enthusiastisch, daß die verschämtesten
  Knospen aufsprangen, und die lüsternen Gräser und die duftigen
  Sonnenstralen sich hastiger küßten, und Bäume und Blumen schau-
20 erten, vor eitelem Entzücken. Ich aber setzte mich auf eine alte
  mosige Steinbank in der sogenannten Seufzerallee unfern des Was-
  serfalls, und ergötzte mein kleines Herz an den großen Abentheuern
  des kühnen Ritters. In meiner kindischen Ehrlichkeit nahm ich alles
  für baaren Ernst; so lächerlich auch dem armen Helden von dem
25 Geschicke mitgespielt wurde, so meinte ich doch, das müsse so seyn,
  das gehöre nun Dmahl zum Heldenthum, das Ausgelachtwerden eben
  so gut wie die Wunden des Leibes, und jenes verdroß mich eben so
  sehr, wie ich diese in meiner Seele mitfühlte. Ich war ein Kind und
  kannte nicht die Ironie, die Gott in die Welt heineingeschaffen, und
30 die der große Dichter, in seiner gedruckten Kleinwelt nachgeahmt
  hatte – und ich konnte die bittersten Thränen vergießen, wenn der
  edle Ritter, für all seinen Edelmuth, nur Undank und Prügel genoß;
  und da ich, noch ungeübt im Lesen, jedes Wort laut aussprach, so
  konnten Vögel und Bäume, Bach und Blumen alles mit anhören, und
35 da solche unschuldige Naturwesen, eben so wie die Kinder, von der
  Weltironie nichts wissen, so hielten sie gleichfalls alles für baaren
  Ernst, und weinten mit über die Leiden des armen Ritters, sogar eine
  alte ausgediente Eiche schluchzte, und der Wasserfall schüttelte hef-
  tiger seinen weißen Bart, und schien zu schelten auf die Schlechtig-
40 keit der Welt. Wir fühlten, daß der Heldensinn des Ritters darum
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