Kölner Stadtanzeiger, 15.02.2006

Kulturkampf mit Heine
VON MARTIN OEHLEN, 15.02.06, 07:03h

Heinrich Heine, der Dichter aus Düsseldorf, zog 1831 durch die Porte St. Denis in Paris ein. Jürgen Rüttgers (CDU), der Ministerpräsident aus Düsseldorf, kommt hingegen durch die Porte d'Asnières, als er vom Flughafen ins Zentrum der französischen Hauptstadt strebt. Ansonsten allerdings bleibt der Landeschef auf seiner zweiten Auslandsreise - nach den Niederlanden und vor den USA - dem Dichter in dessen Wahlheimat einen Tag lang dicht auf den, nun ja, Versen.

Dabei präsentiert der Politiker den Poeten als Patrioten. Ausgerechnet Heine! möchte man rufen. Ausgerechnet der Dichter, dessen kritische Bemerkungen über Deutschland lange Zeit für Antipathien im patriotischen Lager gesorgt haben! Im „Maison Heinrich Heine“, dem deutschen Studentenheim in der „Cité universitaire“, führt Rüttgers Fragen auf, die Heine gestellt habe: „Dürfen Deutsche ihr Vaterland lieben? Dürfen sie stolz auf Deutschland sein? Dürfen sie ihre Liebe oder ihren Stolz öffentlich zeigen?“ Da erbleicht der eine oder andere im voll besetzten Saal.

Gerade in Frankreich, so Rüttgers, sei „Patriotismus eine Selbstverständlichkeit“. In Deutschland aber führe das Thema jedes Mal zu „Verkrampfungen und Tabuisierungen“. Gewiss - wer Anstand habe, der empfinde Scham eingedenk der deutschen Verbrechen. Aber: „Es gibt keine Scham über Deutschland ohne Liebe zu Deutschland.“ Denn nur der könne sich schämen, der Emotionen habe. So einer wie Heinrich Heine eben.

Was der zum Thema zu sagen hatte, wird auf dieser Tagesreise zwar nicht zitiert, ist aber nachzulesen: „Der Patriotismus des Franzosen besteht darin, dass sein Herz erwärmt wird, durch diese Wärme sich ausdehnt, sich erweitert, dass es nicht mehr bloß die nächsten Angehörigen, sondern ganz Frankreich . . . mit seiner Liebe umfasst; der Patriotismus des Deutschen hingegen besteht darin, dass sein Herz enger wird, dass es sich zusammenzieht wie Leder in der Kälte, dass er das Fremdländische hasst, dass er nicht mehr Weltbürger, nicht mehr Europäer, sondern nur ein enger Deutscher sein will.“ Damals jedenfalls.

Der Dichter, dessen 150. Todestag am Freitag gedacht wird, ist in Paris stark vertreten - mit 4600 Manuskriptseiten in der Bibliothèque Nationale am alten Stammsitz in der Rue Richelieu. Der NRW-Besuch dient auch dazu, die Digitalisierung dieses Schatzes für das Internetportal des Heine-Hauses in Düsseldorf zu beschließen. Die Absichtserklärung wird just an der Stelle der Nationalbibliothek unterzeichnet, wo Voltaires Herz aufbewahrt wird - was ziemlich gut passt, da die Franzosen Heine als „deutschen Voltaire“ priesen. Allerdings fehlt zum allgemeinen Glück noch die Übereinkunft, wer welche Kosten trägt.

Für Jean-Noel Jeanneney, den Präsidenten der Nationalbibliothek, ist dieses Projekt ein Beitrag zu einem ganz speziellen Kulturkampf. Mit Kollegen anderer europäischer Häuser will er eine eigene Suchmaschine aufbauen, um „Google“ Paroli zu bieten. Denn sollte nur die amerikanische Suchmaschine den Zugang zu digitalisierten Bibliotheksbänden ermöglichen, sieht er schwarz. Jeanneney befürchtet, dass dann kommerzielle Kriterien für die Auswahl ausschlaggebend seien und nicht das Gemeinwohl. Mit den digitalisierten Heine-Seiten aus Paris - vom „Wintermärchen“ bis zum Testament - soll, sagt er, das „europäische Kulturerbe“ gesichert werden.

Solche Formulierungen klingen derzeit gar nicht mehr nach einer Sonntagsrede - jetzt, wo die Kollision mit der islamischen Kultur in aller Munde ist. Auch Rüttgers sorgt sich, wie „Europas geistige Wurzeln erhalten bleiben“ können. Ein solches Internet-Portal, das schon jetzt die rund 8000 Düsseldorfer Heine-Seiten anbietet, versteht er daher als „ein Stück Selbstbehauptung“. Europa dürfe die Deutungshoheit über sein Erbe nicht aufgeben. Das Europa der Zukunft - dem er „mehr Staatlichkeit“ wünscht - benötige ein stärkeres Bewusstsein für seine kulturelle Basis. Im Gespräch mit deutschen Studenten sagt er es so: „Angesichts der aktuellen Gewalttaten muss man sich doch fragen: Wie kann man das alte Europa auch ins nächste Jahrtausend führen?“

Eine Antwort führt er an: „Wir müssen uns auf die Spielregeln verständigen - und die stehen für Deutschland im Grundgesetz.“ Eine multikulturelle Gesellschaft habe noch nie funktioniert. Rüttgers drängt daher auf die Integration der Migranten, was nicht mit Assimilation zu verwechseln sei. „Wir müssen sagen, was richtig ist und was nicht.“ Das Frauenbild des Islam beispielsweise sei mit dem seinigen nicht kompatibel.

Vollkommen kompatibel ist dann das Finale des Tages. Nachdem mit dem französischen Kulturminister Renaud Donnedieu de Vabres verabredet ist, dass Frankreich im Jahre 2008 seine Kultur in Nordrhein-Westfalen präsentieren möge, zeigt sich jetzt schon mal Kultur aus NRW in Paris. Bariton Ulrich Schütte und Pianist Jürgen Glauß, beide von der Kölner Musikhochschule, tragen auf Einladung der Landesregierung Heine-Vertonungen von Schumann, Schubert und Wagner vor. Das ist das alte Europa wie es leibt und lebt.
(KStA)


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