Kunststiftung NRW, 03.12.2004

Das Heinrich-Heine-Portal
Ich bin kein Gelehrter, ich gehöre nicht zu den 700 Weisen Deutschlands. Ich stehe mit dem großen Haufen vor den Pforten ihrer Weisheit, und ist da irgend eine Wahrheit durchgeschlüpft, und ist diese Wahrheit bis zu mir gelangt, dann ist sie weit genug: - ich schreibe sie mit hübschen Buchstaben auf Papier und gebe sie dem Setzer; der setzt sie in Bley und giebt sie dem Drucker; dieser druckt sie und sie gehört dann der ganzen Welt.Heinrich Heine
Heinrich Heine (1797-1856) ist nicht nur der populärste deutsche Klassiker und einer der wenigen deutschsprachigen Dichter von weltliterarischem Rang, sondern gilt auch als einer der ersten Schriftsteller der Moderne. Sein Werk, dem durch seine Stellung zwischen Romantik und Biedermeier, Restauration und Nationalismus, Deutschland und Frankreich sowie sein vielfältiges Beziehungsgeflecht zu den literarischen Epochen Klassik, Romantik und Frührealismus eine überragende Rolle in der Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts zukommt, soll nun erstmals umfassend mit den technischen Mitteln des 21. Jahrhunderts erschlossen werden: Das Heinrich-Heine-Portal (HHP) wird die Werke und Briefe sowie Dokumente zu Leben, Werk und Wirkung Heines auf der Basis moderner Datenstandards (SGML/XML) erfassen und eine Plattform zu deren Erforschung entwickeln. Zugleich stellt das HHP ein neues Modell für ein integriertes digitales Informationssystem dar. Es soll frei im Internet zugänglich sein und später auch in einer CD-ROM/ DVD- Version kommerziell vertrieben werden. Federführend ist dabei das Heinrich Heine Institut der Stadt Düsseldorf, das für den Inhalt und die wissenschaftliche Präsentation verantwortlich zeichnet. Die Texterschließung und Textauszeichnung soll ebenso wie die Entwicklung der graphischen Oberfläche und die Entwicklung von Routinen für eine Online- Version in Zusammenarbeit mit dem Kompetenzzentrum der Universität Trier durchgeführt werden, das durch Projekte wie den mittelhochdeutschen Wörterbuchverbund, die elektronische Version des Wörterbuchs der Brüder Grimm oder das digitale mittelhochdeutsche Textarchiv über beträchtliche Erfahrung im Bereich der modernen Datenaufbereitung verfügt. Finanziert wird das auf fünf Jahre angelegte Projekt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Stiftung Kunst und Kultur des Landes Nordrhein-Westfalen. Das Heinrich-Heine-Portal schöpft aus den Arbeitsergebnissen und Erfahrungen mehrerer Forschergenerationen und führt "zusammen, was zusammengehört": Die beiden wissenschaftlichen, historisch-kritischen Heine-Gesamtausgaben, die seit Beginn der 70er Jahre unabhängig voneinander parallel in der Bundesrepublik und der DDR entstanden und lange miteinander konkurrierten, bilden die gemeinsame Grundlage für diese digitale Edition – die 1973-1997 erschienenen 16 Bände (23 Einzelbände, 20.500 S.) der "Düsseldorfer Heine-Ausgabe" (DHA), herausgegeben von Manfred Windfuhr, und die 1970-1984 erschienenen 9 Bände (17 Einzelbände, 6.000 S.) des Heine-Briefwechsels der "Heine-Säkularausgabe" (HSA), herausgegeben von den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar (heute Stiftung Weimarer Klassik) und dem Centre National de la Recherche Scientifique in Paris.

Diese 26.500 Textseiten mit ca. 72 Millionen Zeichen werden ergänzt durch eine Vielzahl digitaler Faksimiles, historischer Quellen- und Bildmaterialien, darunter ca. 25 der bekannten zeitgenössischen Heine-Porträts, die ebenso wie die Brief- und Werkmanuskripte von der Firma Image Egineering (Frechen) digitalisiert und später und mit den entsprechenden gedruckten Texten verknüpft werden. Im Archiv des Heinrich-Heine-Instituts befinden sich ca. In verschiedenen Sammlungen 80 % der bekannten Brief- und Werkmanuskripte Heinrich Heines (ca. 7500 Blatt), die in den beiden wissenschaftlichen Ausgaben bereits ausgewertet wurden und in digitaliserter Form einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollen. Die Digitalisierung hat für das Heinrich-Heine-Institut auch unter konservatorischen Gesichtspunkten große Vorteile, da in Zukunft für verschiedene Zwecke wie Faksimilierung, Erstellung auswärtiger Ausstellungsprojekte, Dienstleistungen für fremde Institute u.a., nicht mehr auf die äußerst empfindlichen Originale zurückgegriffen werden muss. Literaturwissenschaftler, Studenten und Leser in aller Welt werden durch das Heinrich-Heine-Portal von ihrem Arbeitsplatz aus direkten Zugriff auf diese sonst schwer zugänglichen Materialien und die umfangreichen Bestände des Heine-Instituts haben, die ein einzigartiges nationales Kulturerbe von internationaler Bedeutung darstellen. Durch die speziellen, individualisierbaren Suchfunktionen und die beinahe unbegrenzten Möglichkeiten, durch Verknüpfungen die Texte Heines unmittelbar mit dem erläuternden Kommentar, Registern, faksimilierten Handschriften oder den entsprechenden Druckvarianten (etwa Faksimiles der Zeitschriftenfassungen und voneinander abweichenden Buchversionen) zu verbinden, Querverweise zwischen Werken und Briefen oder zwischen Textstellen sowie Entstehungs- und Zensurstufen sofort sichtbar zu machen, ist das HHP mehr als bloß eine andere mediale Präsentationsform der bestehenden Ausgaben, es entsteht ein ganz neuartiges Instrument für die Forschung. Zudem wird die Ausstrahlung und Wirkung Heines über die Grenzen der engeren Fachwissenschaft hinaus gefördert – auf eine Weise, die diesem Autor, der den engen Rahmen der Literarhistorie schon immer gesprengt hat, in besonderem Maße gerecht wird.

Hermann Kesten trug der Modernität Heines Rechnung, indem er ihn einmal „einen der ersten Schriftsteller des zwanzigsten Jahrhunderts" nannte. Durch das Heinrich-Heine-Portal, in dem zum ersten Mal ein klassischer deutscher Dichter in derartig umfassender Form mit allen Möglichkeiten der neuen Medien erschlossen wird, gehört er künftig auch zu den ersten Dichtern des 21. Jahrhunderts.

Für Inhalt und wissenschaftliche Konzeption des Heinrich-Heine-Portals sind verantwortlich: Bernd Füllner, geboren 1950, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf, Mitglied im Vorstand des Forum Vormärz Forschung. Redakteur bei der Düsseldorfer Heine-Ausgabe, zahlreiche Veröffentlichungen zur Literatur des Vormärz und der Arbeiterbewegung, insbesondere zu Georg Weerth, zuletzt Herausgeber des Bandes: Briefkultur im Vormärz, Bielefeld: Aisthesis, 2001. Christian Liedtke, geboren 1964, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf, Autor der Biographie Heinrich Heine (Reinbek: Rowohlt 1997, 4. Aufl. 2001 [Rowohlts Monographien]) und verschiedener anderer Schriften über Heine und zur Literatur des Vormärz, zuletzt Herausgeber des Bandes Heinrich Heine. Neue Wege der Forschung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2001.